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Mädchen können Bagger fahren

Just do it!
Just do it!

Neulich morgens sagt Marlo zu mir: “Mama, ich finde Jungs besser, weil die können im Stehen pinkeln.” Aha, denke ich und frage: “Ist das der einzigste Grund?”. Er überlegt kurz, ja. Das ist der einzige für den Moment. Okay, denke ich. Kann ich mit leben. Wenn das der einzigste Grund ist, warum Jungs besser als Mädchen sein sollten, nun gut. Zumal ich diesen Gedanken dadurch angeregt habe, das ich Tage zuvor, die Frage stellte, ob er pinkeln muss, weil dann könnten wir hier einfach kurz am Baum halt machen. Und das ich es praktisch finde, dass er einfach im Stehen an nen Baum pinkeln kann, weil ich müsste meine Hose ganz runter ziehen und mit nacktem Po in die Hocke gehen und das wäre mir im Winter einfach zu kalt. 

 

Dann beschäftigt mich das Thema doch den ganzen Tag, ich höre den Podcast von Katrin Bauerfeind in der Collin Ulmen-Fernandes eingeladen ist, und die erzählt von einer Sendung, in der 7jährige Jungs denken, sie sind stärker als Mädchen, dafür nicht hübsch und Mädchen denken sie sind lieb, können dafür aber nicht Fußball spielen. 

 

Nachdem ich Marlo vom Kindergarten abgeholt habe, frage ich ihn, ob er denkt, dass Mädchen Bagger fahren können. Er lacht und sagt “Neeein” und ich denke WIE BITTE?

Dann frage ich: “Wieso?” Seine Antwort: “Weil, Mama das können die nicht”. “Und können die bei der Feuerwehr arbeiten?” “Klar!” Wir haben ein Feuerwehrbuch, wo eine Feuerwehr-Person mit viel Phantasie ne Frau sein kann. Und sein Kumpel Karim hat ne Tante bei der Feuerwehr. Können die bei der Polizei arbeiten, mache ich weiter. Natürlich. Auch dort ist in zahlreichen Büchern weibliches Personal abgebildet. Ich habe mir derweil die Bagger- und Baustellen-Bücher angeschaut. Keine einzige Frau, nur mal ne Architektin. Ich fahre fort in der Befragung. “Marlo, denkst Du nicht, Pippi Langstrumpf könnte einen Bagger fahren?” “Quatsch, die ist doch ein Kind!” Ich bin froh, dass er mit Kind und nicht mit Mädchen antwortet. Ich sage ihm, das Frauen auch Bagger fahren können und er lacht und sagt, ich würde Quatsch machen. Das macht mich wirklich baff und ich versichere ihm, dass Frauen das können.

 

Beim ins Bett bringen habe ich mich immer noch nicht beruhigt und stelle weitere Fragen. Ich provoziere es. Ich frage nochmal, ob Jungs nur besser sind, weil sie ihm stehen pinkeln. “Nein, die sind auch stärker und schneller. Außer Lila. Die hat die gleichen Zauberkräfte wie ich, die ist stärker als ich.”

“Was ist mit Pippi Langstrumpf?” Ich frage mich, ob es denn gar nichts gebracht hat, dass ich ihm das Stundenlang vorgelesen habe und ihn in der Silvesternacht den Film hab gucken lassen. Er schaut mich ziemlich selbstgefällig an und sagt, das Pippi ja gar nicht echt ist. 

 

So. Zum einen feiere ich Lila, die nie so tut, als ob sie schwächer wäre als Marlo, obwohl ich mich oft darüber ärgere, dass sie als fast 13jährige in vielen Fällen mit ihrer Überlegenheit gegenüber Marlo Streits provoziert, zum anderen frage ich mich, ob ich das jetzt richtig gemacht habe oder falsch. Das Marlo von sich selber denkt, er sei stark ist ja gut. Das er denkt er sei stärker als Mädchen und deswegen besser ist schlecht. Und tatsächlich finde ich später heraus, als ich die Doku “No more boys and girls” schaue, das alle Jungs denken, sie sind stärker als die Mädchen, obwohl es dazu aus körperlicher Sicht überhaupt keinen Grund gibt. Bis zur Pubertät sind die Geschlechter körperlich gleichgestellt. Das ist etwas, dass wusste nicht einmal ich. Ich dachte auch immer, Jungs sind einfach stärker. Und wenn man das testet, dann fällt das Ergebnis auch entsprechend aus. Jungs sind stärker als die meisten Mädchen. Solange, bis man die Jungs raus schickt und die Mädchen unter sich sind. Dann erbringen sie auf einmal die selbe Leistung, weil sie sich trauen, durchzuziehen. Das ist nämlich in diesem Alter das Problem. Mädchen sind zaghafter, weil sie ja eh schon wissen, dass die Jungs im Kräftemessen stärker sind. Aber untereinander gilt diese Regel nicht. Das finde ich ziemlich krass. Das hat mich erschüttert. Und das nächste, das mich fast zum weinen gebracht hat, war ein Junge, der fast geheult hat, weil sie im Sportunterricht Fußball mit der Teamaufteilung Jungen gegen Mädchen spielen sollten. Er fand das ungerecht, weil ja schon klar war, dass die Mädchen haushoch verlieren würden. Und so war es dann auch. Was ich dann aber toll fand war, dass die Jungs erkannt haben, an was das lag. Nicht daran, dass sie Jungs waren und die Mädchen Mädchen. Es lag daran, dass die Jungs in jeder Mittagspause draußen Fußball spielen. 

 

Ich bin nicht dafür zu sagen, man muss verhindern, das Mädchen nur mit Puppen spielen. Aber ich bin dafür, dass wir den Kindern beibringen, dass man das macht, weil man Lust dazu hat. Man ist nicht schlechter in Fußball, weil man ein Mädchen ist, sondern weil man es nie spielt. Man kann nicht schlechter kochen, weil man ein Mann ist, sondern weil man eh am liebsten Brot mit Käse isst. Und in vielen Bereichen ist, zumindest in meinem Umfeld, ein großer Wandel da. Und trotzdem gibt es noch zu viele Situationen, in denen ein Mann in der Bahn sein Strickzeug rausholt und eine Frau mit Kind völlig ausflippt vor Entzückung und ihn fotografieren will. Und trotzdem werden Jungs vornehmlich nur auf Kostümparties oder Klassenabschlussparties in Frauenklamotten und High Heels über zusammengeschobene Tische wackeln und grölendes Gelächter hervorrufen. Obwohl die hohen Schuhe, pompös und rosa, für sie erfunden wurden.

 

Es gibt immer noch Mädchen, die denken, Frauen können kein Flugzeug fliegen. Es gibt im englischen Raum die Redewendung “She can’t be it, if she can’t see it.” Das gilt auch für Männer.

Männer sollen Röcke tragen können, wenn sie das möchten oder hohe Schuhe, ohne als Transe betitelt zu werden, wenn sie keine sind. Oder Stricken und Nähen dürfen. Wer hatte im Sportunterricht Ballett? Ich hatte einmal rhythmische Sportgymnastik mit Band und Ball und Reifen, aber niemals was mit Tanz, Ballett oder dergleichen. Aber wir hatten alle Ballsportarten durch. Sogar Baseball. Lehrer nehmen das in ihrer Ausbildung aber auch durch, haben später aber oft keinen Bock drauf, dass im Unterricht zu machen. Sport wird meistens von Männern unterrichten.

 

In meiner Großfamilien-WhatsApp-Gruppe habe ich eine Umfrage gestartet. In der Gruppe sind 10 Frauen, Tanten und Cousinen, und 6 Männer, Eingeheiratete und Cousins. Ich habe die Frage gestellt, wem ein männliches Beispiel für Pippi Langstrumpf einfällt. Da wurde Jim Knopf genannt und Michel oder Karlsson vom Dach und Kasperle. Aber dann wurde ich expliziter und meinte, ich brauche jemand, der wie Pippi verdeutlicht, das Frauen stark sind und auf sich selber aufpassen können und keine feine Dame sein müssen, um glücklich zu sein. Gibt es einen Held, der Jungs das vermittelt, was Pippi Mädchen vermittelt? Da fiel keinem mehr was ein, außer der 16jährigen Tochter meiner Cousine, nämlich Harry Potter. Der darf tatsächlich schwach und wehrlos sein und ein Loser und sich aus dieser Situation dann hoch arbeiten. Dabei darf er ständig scheitern und sich von Hermine retten lassen. Weil die besser aufgepasst hat. Erfrischend. Und dann? Mir fiel später noch Heidi ein. Da war der Opa am Anfang auch nicht begeistert, für ein Kind verantwortlich zu sein und alle dachten, das wird nix. Und dann hat er es ganz gut hinbekommen mit der Heidi. Ohne weibliche Hilfe, oder nicht? Aber das ist kein Held für einen Vierjährigen. Der hat Helden, die Jungs sind. Im Moment fährt er total auf die Paw Patrol ab. Hunde, die anderen Tieren in Not helfen. Der Anführer ist ein Junge und die 5 Hunde alle Jungs, bis auf ein Mädchen, das in einem rosa Hubschrauber rumfliegt. Vornehmlich werden kleine, dümmlich wirkende Kätzchen gerettet, die allesamt Mädchen sind.

Und wer kennt Bobo Siebenschläfer? Da ist die Mutter immer Zuhause, kocht und geht mit Bobo zum Arzt, der männlich ist, saugt, macht Plätzchen mit Tee und bringt Bobo ins Bett. Und Leo Lausemaus. Da geht die Mutter arbeiten, kochen, backen, Leo vom Kindergarten abholen, bringt ihn ins Bett, versorgt die kleine Schwester und der Mann kommt nach Hause, setzt sich in den Sessel und liest Zeitung.

 

Klar gibt es auch andere Bücher, tolle, wunderbare Kinderbücher. Aber in keinem Buch, das ich kenne und in keiner Serie die mir bekannt ist, holt ein Junge sein Strickzeug raus. Ich frage mich, geht das den Männern nicht auch aufn Sack?? Wenn die als zu doof betrachtet werden, ihr eigenes Kind ins Bett zu bringen. Und tatsächlich, unterhalte ich mich mit Männern, die denken, Mütter könnten vieles besser im Umgang mit Kindern oder im Haushalt. Klar, wir bekommen das ja auch ein Leben lang eingebleut. Aber kann ich was besser, nur weil ich es mache, so wie es mir beigebracht wurde, als wenn ich was mache, so wie ich mir das meinem Kind gegenüber selbst überlegt habe?

Kann das mal aufhören? Der Vorschlag aus dem Gruppenchat, bei dem sich übrigens kein einziger Mann in die Diskussion eingebracht hat, obwohl ich schriftlich um Wortmeldung bat, die mir dann die Frauen der Männer gaben, lautet, selbst ein Buch zu schreiben. Ein Buch gegen den Rest der Welt - es wird schwierig. Aber zusehen, wie es einfach so weitergeht, ist noch schwieriger für mich. 

 

Ich könnte eigentlich noch weiter und länger darüber schreiben. Wie sehr es mich ärgert, wenn jemand sagt “Jetzt stell dich nicht an wie ein Mädchen” oder zu einem Jungen, “Du Heulsuse.” Darüber, dass ich stolz auf meine Familie bin, weil die, wenn ich den Antworten der Frauen glauben darf, erkannt haben, dass Gleichberechtigung in der Familie wichtiger ist, als auf anerzogene Geschlechterrollen zu pochen. Es gibt sogar einen Mann in meiner Familie, der in der Provinz in Frauenklamotten in die Kneipe gegangen ist. Und der ist weder schwul noch transsexuell. Der kann Holz machen und Mauern bauen. Der hatte da einfach Bock drauf.

 

Es gibt immer Frauen, die total gerne mit den Kindern zuhause bleiben und den Haushalt machen, kochen und voll auf Fensterputzen abgehen. Es gibt immer für alles jemanden. Aber bitte, hört auf, die Männer zu beschämen, die lieber ihr Kind ins Bett bringen, als am Auto rumzuschrauben und lasst die Frauen in Ruhe, die lieber ne Putzkraft einstellen und am Wochenende Party machen, als Socken zu bügeln und den Boden zu schrubben.

Jeder will um seiner selbst willen geliebt werden und das sollt ihr auch tun. Torsten Sträter sagt, wenn jeder permanent sich selbst ist, dann wäre die Welt voller Kotzbrocken. Und das stimmt auch wieder. Seid freundlich und tolerant zueinander, auch wenn es manchmal anstrengend ist und an angebrachter Stelle höflich und dankbar.

Aber redet euch niemals ein, dass ihr was nicht könnt oder dürft, weil ihr dafür nicht mit dem richtigen Geschlecht ausgestattet seid. Die einzige Beschränkung liegt dabei vermutlich wirklich beim Kinder bekommen und stillen. Und darin, im Stehen zu pinkeln. Ein fairer Ausgleich, oder nicht?

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